Kindergrundsicherung statt Kindergeld – neue Chancen für arme Kinder
Armut ist in Deutschland allgegenwärtig. Wer mit offenen Augen durch die Innenstädte läuft, wird immer wieder mit Bettlern, Obdachlosen und Flaschensammlern konfrontiert. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren 2022 rund 17,3 Millionen Menschen von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht.
Der Graben zwischen Arm und Reich droht sich in der aktuellen angespannten Situation zu verschärfen. Die schwächelnde Volkswirtschaft, die explodierenden Strompreise, und die Krise am Baumarkt bei kontinuierlich hohen Flüchtlingszahlen sind nur einige Anzeichen dafür, dass sich die Lage in Deutschland weiter zuzuspitzen droht.
Mit der Abschaffung des Kindergeldes und dessen Ersatz durch die Kindergrundsicherung plant die Bundesregierung eine effektivere Unterstützung von Familien, die unter prekären Lebensbedingungen aufwachsen. Der Zugang zu sozialen Leistungen soll niedrigschwelliger werden, um sicherzustellen, dass das Geld bei den Berechtigten ankommt.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) plant einen Paradigmenwechsel, indem der Staat sich bei der Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit von seinem paternalistischen Selbstverständnis löst und stattdessen als „Servicedienstleister“ auftritt, der gegenüber Bedürftigen in einer „Bringschuld“ steht.
Der Kern des Vorhabens
Die Kompetenz des Staates bleibt beim neuen System erhalten, sodass Berechtigte, die beispielsweise das Kindergeld in Bayern beantragen, dieselben Bedingungen haben wie jemand, der dies von Sachsen aus tut.
Zur Herstellung einer größeren Übersichtlichkeit wird das System aus familienpolitischen Leistungen vereinheitlicht und Zugangsberechtigte erhalten für Zuschüsse, die mit dem bisherigen Kindergeld, Kinderzuschlag und Kinderfreibetrag vergleichbar sind, eine Anlaufstelle: den Familienservice der Arbeitsagentur. Geplant ist ein Zweistufenmodell, das sich aus einem Grundbetrag und einem Zusatzbetrag zusammensetzt.
Während die Leistungen des Grundbetrags einheitlich und für alle Eltern garantiert sind, orientiert sich die Höhe der Zuschläge an dem Alter der Kinder sowie dem Einkommen der Erziehungsberechtigten. Laut Lisa Paus können Eltern beim Grundbetrag mit ähnlichen Bezügen wie bisher rechnen und dadurch mit 250 Euro pro Kind. Mit den Zuschüssen beim Kinderzuschlag können sich die familienbezogenen Transferleistungen pro Kind auf insgesamt 636 Euro summieren. Der Bedarf wird in einem Kindergrundsicherungs-Check ermittelt.
Unter anderem sind Leistungen wie die Kinderwohnkostenpauschale (150 Euro), der Kinderregelsatz, Kinderzuschlag und Finanzierungen für Bildung und Teilhabe möglich. Auf diese Weise können Erziehungsberechtigte in einkommensschwachen Haushalten Zuschüsse, zum Beispiel für Klassenfahrten, Schulausflüge, Nachhilfe und Sportvereine, beantragen.
Weitere Erleichterungen
Neben der Vereinheitlichung sollen weitere Änderungen zum vereinfachten Zugang beitragen. Dazu gehören der Abbau überflüssiger Barrieren und der Wegfall der Pflicht zum Einkommensnachweis. Die Kommunikation mit dem Amt soll für jeden Berechtigten über das Internet möglich sein. Zu diesem Zweck plant das Familienministerium die Einrichtung eines einheitlichen Online-Portals.
Dem Einsatz der FDP ist ein neues „Kinderchancenportal“ zu verdanken, das ebenso wie das Online-Portal noch in der Planungsphase steckt. Bei dieser Subventionierung liegt der Fokus auf Bildungschancen, sodass einkommensschwache Eltern ihren Kindern die Möglichkeit zur Teilnahme an Fördermöglichkeiten geben können, ohne dass dies an hohen Kosten scheitern muss. Kinder, die nicht mehr bei ihren Eltern leben und studieren oder in Ausbildung sind, sollen die Gelder auf ihr Konto überwiesen bekommen.
Die Kindergrundsicherung im Spiegel der Kritik
Die Reform der Kinderzuschüsse ist ambitioniert und vor allem aufgrund der Vereinheitlichung ein ehrgeiziges Projekt, das mit vielen Änderungen verbunden ist. Da es für einzelne Neuregelungen Diskussionsbedarf gibt, wird die Reform auf sich warten lassen, bis sie regulative Realität in Deutschland geworden ist. Experten rechnen im günstigsten Fall mit einer Einführung im Laufe des Jahres 2025.
Während die Grünen den Anspruch haben, mit dem neuen Gesetz etwa 5,6 Millionen Kinder aus finanzschwachen Verhältnissen zu erreichen und vor allem Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit hervorheben, stellt die FDP, die an dem Entwurf beteiligt war, die neuen Chancen in den Mittelpunkt ihrer Kommunikation. Diese Punkte sind es neben dem vereinfachten Zugang, die in der öffentlichen Debatte auf Zustimmung stoßen.
Doch Kritik gibt es ebenfalls. So beklagt Verena Bentele vom Sozialverband VDK, dass der Aufwand für die Antragstellung „gegebenenfalls sogar höher sein würde als vorher“. Arbeitsökonom Frank Unger lobt die Vereinheitlichung des neuen Gesetzes, gibt aber zu bedenken, dass „die Art und Weise, wie dies geschehen soll, einen erheblichen Bürokratie- und Verwaltungsaufwand mit sich bringt“.
Prof. Dr. Ragnar Hoenig (Institut Soziales Recht) weist auf die Kehrseite der Vereinheitlichung hin, indem er die folgende Gleichung aufstellt: „Je stärker Leistungen zusammengefasst werden, desto weniger wird Einzelfallgerechtigkeit hergestellt. Das ist ein Spagat, den der Gesetzgeber vor sich hat.
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